Wenn Scherben sprechen könnten...

 

Die Maria Ward-Schule befindet sich auf einem Gelände „mit Vergangenheit“. Innerhalb des römischen Siedlungsgebietes gelegen, geht der Gebäudebestand der Schule bis in das späte Mittelalter zurück. Es handelt sich um einen in spätmittelalterliche Zeit zurück gehenden Adelssitz mit einem spätmittelalterlichen Wohnturm und einem daran anschließenden barocken Anlage des „Dalberger Hofes“. Bei Bauarbeiten auf dem Schulgelände wurden immer wieder Funde gemacht und insbesondere durch den Einsatz von Schwester Irmgard geborgen.Im Rahmen einer Ganztagsschul-AG haben sich Schülerinnen der 6. und 7. Klassen nicht nur mit diesen Funden sondern auch mit dem Gebäudebestand beschäftigt. Dabei haben sie Einblick in Arbeitstechniken und Methoden der Archäologie und Baugeschichte erhalten. Geleitet wurde die AG von Dr. Antje Kluge-Pinsker, Archäologin vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum, Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte. Als betreuender Lehrer wurde sie von Herrn Klocker unterstützt, initiiert wurde das Projekt von Herrn Finkenauer.

 

 

Die Funde aus der archäologischen Sammlung der Schule, die freundlicherweise von Sr. Irmgard zur Verfügung gestellt hat, wurden unter fachlicher Anleitung gereinigt, nach Möglichkeit zusammengesetzt und dann soweit wie möglich – zeichnerisch – ergänzt.

 

 

 

 

 

 

 

Das umfangreiche Material der Sammlung setzt sich aus Funden aus dem römischen Siedlungshorizont, sehr vielfältigen Funden aus dem Kontext des spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Adelshof zusammen (Gefäßkeramik, Ofenkeramik, Baukeramik, Gefäßglas, Metallfunde, …).Im Laufe des Schuljahres ergab sich die Gelegenheit, Funde zu bearbeiten, die die Garten-AG beim Setzen eines Gingkobaumes machte.Obwohl die Funde verhältnismäßig unscheinbar sind, wurden alle Funde beschrieben, kategorisiert und angesprochen und in einem Bericht festgehalten:

 

 

Bericht der Archäologie-AG, November 2007

Fundgelegenheit: Beim Ausgraben des Gingkobaumes im Schulgarten

 

Funde:                     

 

Zwei römische Scherben: Terra Sigillata (mit einer orangerot (YR2.5-4/8) glänzenden Oberfläche), 1.-3. Jahrhundert.

 

Steinzeug (grau, ohne Poren, sehr hart), zum Teil blau bemalt und glasiert (17./19. Jahrhundert); unglasierte Scherbe (7.5YR – 7/6), braun glasierter Wellenfuß (5YR 2.5/2)

 

Helltonige, glasierte Irdenware (porös, nicht so hart), unter anderem Boden eines grün glasierten Siebgefäßes und mit Glasur (Tonfarbe: 7.5YR-7/6-8/6; Farbe der Glasur: 10YR-6/8), 15./17. Jh.), auch braune Glasuren (5YR 3/4)

 

 bemalte Bauernkeramik (18./19. Jh.)
 Bruchstücke aus Dachziegeln
 Tierknochen aller Art
 Muscheln und Schnecken
 farblose Randscherbe eines Glases
 Tierzähne und Knochen (siehe Bild)
 verrostete Eisenfragmente, u. a. Nägel
 Steine, Schiefer etc.
 weiße Randscherbe aus Porzellan

  

Die Funde stammen hauptsächlich aus dem 15.-19 Jh. (Mittelalter und Neuzeit). Nur zwei Scherben sind römisch.


 

Im Rahmen der AG haben die Schülerinnen den Umgang mit Instrumenten erlernt, mit denen archäologische Funde wissenschaftlich bearbeitet werden: wissenschaftliches Zeichnen, detaillierte Beschreibung, Alters- und Funktionsbestimmung durch Vergleich. Dabei werden verschiedene Aspekte des Lebens in der Vergangenheit angesprochen, die auf dem Gelände verortet sind. Desweiteren haben die Schülerinnen einen Gebäudeplan der Schule umgezeichnet und die Periodisierung der Gebäude darin festgehalten. Gebäude gleicher Färbung stammen aus derselben Epoche.

 

 

 

 

 

Beim Öffnen einer Fundschachtel machten die Schülerinnen ihrerseits den Fund einer vertrockneten („mumifizierte“) Biene, die sie „Maja“ tauften. Auf ihre Initiative hin wurde ihr im Schulgarten spontan ein feierliches Begräbnis ausgerichtet. Ihr Grab wurde im Laufe des Jahres immer wieder fotografisch dokumentiert, um Veränderungen festzuhalten. Den Schülerinnen wurde dabei bewusst, dass im künftigen archäologischen Befund der Bienenbestattung, nur wenig über den tatsächlichen Ablauf der Feierlichkeiten erkennbar werden würde.

 

  

 

 

Maja Begräbnis                            

 

     

 

 

Dazu verfassten die Mädchen einen Kurzbericht:

„Am 19.11. 07 erhielten wir von Frau Dr. Kluge-Pinsker einen Karton mit vielen Scherben. Darunter befand sich auch eine alte, tote Biene. Wir nannten sie Maja und bestatteten sie mit einer feierlichen Zeremonie und sangen dabei „Freude schöner Götterfunken“ in moll. Es war sehr schön und wir haben dafür 2 Stunden geopfert. Als wir 2 Wochen später das Grab fotografierten, hatte es sich zu unserer Verwunderung noch nicht sehr verändert. Im tiefsten Winter fotografierten wir es noch einmal, die Schwestern hatten Tannenzweige auf das Grab gelegt. Im Frühjahr wuchsen dort Frühlingsblumen wie Narzissen Tulpen und Krokusse. Jetzt im Sommer ist es mit verwehten Samen und anderen Pflanzen bedeckt.“

 

Im Rahmen der AG lernten die Schülerinnen mit der Handspindel zu spinnen - so wie es in römischer und mittelalterlicher Zeit üblich war und auf dem Gelände der Schule zweifellos stattgefunden hat - und mit der seit dem Spätmittelalter bezeugten „Fingerschlaufentechnik“ Bänder zu flechten.

 

 

Weitere Eckpunkte der AG stellten Exkursionen dar. Bei den Exkursionen in das Stadtgebiet wurde der Blick von der Schule ausgehend in das Stadtgebiet und in die Stadtentwicklung erweitert. Schwerpunkte dabei waren das Römische Mainz sowie Mainz im Spätmittelalter und der Barockzeit. Dabei gab es zahlreiches zu entdecken und zu lernen, wie z.B. der Umstand, dass sich direkt unter dem Ballplatz ein römisches Mithräum, also ein Mithras-Heiligtum befindet.

 

 

 

Im Rahmen der Projektwoche wurden die Aktivitäten des Schuljahres gebündelt und der Schulöffentlichkeit auf unterschiedlichste Weise nahe gebracht: Powerpoint-Präsentation der AG, Planung und Durchführung von Führungen am Präsentationstag, Präsentation der Funde, Vorführungen der erlernten Techniken.

 

 

Impressionen der Projektwoche:

 

  

Ausstellung und Mitmachstationen für die Besucher, wie z.B. ein Scherbenpuzzle

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorbereitung der Führung unter Mithilfe von Sr. Irmgard.

 

 

 

Kundige Führerin beim Erläutern der Sehenswürdigkeiten

 

 

 

 

Während der Ausstellung erläuterten die Schülerinnen diverse Arbeitstechniken oder dokumentierten sie bei den Ausstellungsobjekten in Form von Arbeitsanweisungen:

Vorgehensweise beim bestimmen einer Scherbe:


 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Man braucht:

Millimeterpapier

Scherbe

Wattestäbchen, Küchenrolle und Spiritus

Wasser

Rapidograph, Fallmienenstift, Profilkamm

Farbpallette und Fachbücher

 

 

 

1. Scherbe aus Glas: 

Als erstes muss man die Scherbe reinigen. Dazu nimmt man am besten Spiritus. Diesen füllt man in ein kleines Gefäß, taucht das Wattestäbchen hinein und reinigt damit vorsichtig die Scherbe, bis kein Schmutz mehr an ihr haftet. Am besten legt man bei der Reinigung Küchenrolle unter.



2. Scherbe aus Ton, Gips, Porzellan:

 

In diesem Fall nimmt man statt Spiritus Wasser und wenn die Scherbe sauber ist, nimmt man eine Farbpallette um die Farbe zu bestimmen.

Jetzt zeichnet man die Scherbe auf Millimeterpapier. Dazu nimmt man einen Scherbenkamm um die Umrisse abzubilden. Diesen legt man dann auf das Millimeterpapier und zeichnet die Umrisse mit einem Fallminenstift ab. Wenn man sich sicher ist, kann man das Ganze mit einem Rapidograph nachzeichnen. Dann überlegt man, zu welchem Gefäß die Scherbe gehört hat. Dazu nimmt man eine Radiusschablone, mit der man den Durchmesser von dem Gefäß bestimmen kann, und ein Fachbuch. Wenn man sich sicher ist, das richtige Gefäß gefunden zu haben zeichnet man es ebenfalls zuerst mit Fallminenstift und dann mit Rapidograph auf.

Außerdem muss man noch herausfinden, aus welcher Zeit die Scherbe stammt.

Eine solch außergewöhnlich vielfältige und aufwändige AG wäre ohne außerschulische Partner nicht durchführbar gewesen und somit möchten wir uns bei folgenden Institutionen bedanken, die uns bei der Durchführung ideell und materiell unterstützt haben:

 

Deutsche Stiftung Denkmalschutz (Projekt: „denkmal aktiv")

Robert Bosch Stiftung (Finanzierung des Instrumentariums im Rahmen des Förderprogramms DENKWERK – „Archäologie und Schule im Rhein-Main-Raum“)

 

Bei beiden Institutionen wurden der Verlauf des Schulprojektes dokumentiert und bei mehreren Veranstaltungen präsentiert.

Daniel Klocker, MWS 2009